Die Angehörigen

In den vergangenen Wochen habe ich mich sehr häufig an meine Therapie im Jahre 2010 erinnert. Ich saß gemeinsam mit meiner Bezugstherapeutin in ihrem Behandlungszimmer und wir unterhielten uns über die damals neuen Automaten. Vier Jahre zuvor war die Glücksspielverordnung geändert worden und ich erzählte ihr, wie perfide die neuen Automaten waren (und sind).

Meine Therapeutin prophezeite bereits damals einen großen Zuwachs an problematischen und pathologischen Spielern. Es scheint, als würden erst jetzt die langfristigen Folgen ersichtlich werden, denn was in den letzten Wochen auf meinem Blog los ist, ist beeindruckend und zugleich besorgniserregend.

Mein Beitrag zum Thema Angehörige ist mittlerweile der meistgelesene von 80 Blogbeiträgen. Die durchschnittlichen Klickzahlen für diesen Beitrag haben sich im Verlauf der letzten drei Monate verfünffacht. Doch das ist nicht alles.

Bereits mehrfach habe ich Anfragen und Danksagungen für meinen Blog, aber insbesondere für meine Beiträge für Angehörige erhalten. Im Durchschnitt erhalte ich zurzeit zweimal pro Woche entweder eine Email oder einen Kommentar auf meiner WordPress-Seite. Familienmitglieder suchen immer häufiger nach Hilfe und nach Antworten auf die brennenden Frage, wie sie mit ihren spielsüchtigen Söhnen und Töchtern, Ehemännern und Partnern umgehen sollen.

Dies führte auch dazu, dass ich mit der Mutter einer Spielerin telefoniert habe und momentan via Email im kontinuierlichen Austausch mit drei Angehörigen stehe. Auch Frau Ilona Füchtenschnieder, die Vorsitzende des Fachverbands für Glücksspielsucht, stellt einen deutlichen Anstieg an Hilfesuchenden fest, wie sie mir vor einigen Tagen in einem Gespräch mitteilte.

Diese langfristigen Folgen sind nachvollziehbar. Spielsüchtige benötigen zehn bis fünfzehn Jahre, bis sie an einem Punkt sind, an dem sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Mittlerweile sind elf Jahre vergangen, seit die Glücksspielverordnung abgeändert wurde und nach und nach sind auch in den letzten Familien die erdrutschartigen Veränderungen zu spüren, die das pathologische Spielen mit sich bringt.

Im meinen Gesprächen mit den Angehörigen stellen wir gemeinsam immer wieder fest, wie schwierig und anstrengend der Umgang mit Spielsüchtigen ist. Ich persönlich bemerke aber auch, dass es unter den Angehörigen viele Menschen gibt, die aus den ersten Handlungsimpulsen heraus das System am Laufen halten.

Die Sucht wird gegenüber anderen Menschen aus dem sozialen Umfeld gedeckt und verschwiegen, Schulden werden bezahlt, Hintertürchen werden für die SpielerInnen weiterhin nicht geschlossen. Ich kann dieses Verhalten zu 100% nachvollziehen, denn Scham spielt hier eine große Rolle. Man möchte nicht, dass andere Verwandte oder der Arbeitgeber von der Erkrankung wissen und hofft inständig, dass der Betroffene dann vielleicht doch irgendwann morgens aufwacht und noch die Kurve kriegt. Doch die große Erleuchtung bleibt dann doch aus und die Angehörigen entschließen sich, dass Google-Orakel anzurufen:

„Wie kann man Spielsüchtigen helfen? Wie helfe ich meinem spielsüchtigen Sohn? Wie geht man mit einem Spielsüchtigen um?“, sind die gängigen Fragen, die gestellt werden. Desweiteren liefert mein Statistik-Tool unzählige Variationen von Begriffen wie „Spielsucht, Angehörige, Spieler, Lügen, Schulden, Hilfe, Therapie“.

Natürlich freut es mich, dass meine Beiträge dazu führen, dass die Menschen aus dem Umfeld der SpielerInnen vielleicht erste Schritte in die richtige Richtung unternehmen, aber zugleich bin ich auch erschüttert, dass mein o.g. Beitrag in den letzten Monaten zum „beliebtesten“ Beitrag meines Blogs geworden ist. Jeden Tag besuchen mindestens 20 Menschen diesen Beitrag. Wenn ich das auf ein Jahr hochrechne, dann sind das wirklich viele verzweifelte Familienmitglieder und Freunde, die zu Hause sitzen und nicht mehr weiter wissen.

Daher auch hier nochmals mein Aufruf an alle Leser:

Springt über Euren Schatten und sucht eine Beratungsstelle auf. Auch in Eurer Nähe gibt es ganz gewiss jemanden, der sich mit dem Thema Spielsucht auskennt und Euch dabei unterstützen kann, neue Perspektiven zu entwickeln und den richtigen Umgang mit dem Spieler oder der Spielerin zu erlernen.

Natürlich bin auch ich weiterhin erreichbar unter:

dasist.derspielverderber(a)gmail.com

Ein Gedanke zu “Die Angehörigen

  1. Pingback: Brief an einen Angehörigen | Der Spielverderber

Hinterlasse einen Kommentar