Gönnen Können für Fortgeschrittene

Nachdem ich sehr schöne und ereignisreiche Weihnachten verbracht habe, möchte ich mich heute noch einmal mit dem Thema Geld beschäftigen. Auf besonderen Wunsch einer meiner Leserinnen gehe ich mit diesem Beitrag auf die Wertschätzung von Geld und dem Umgang mit meinem Suchtmittel ein.

Als aktiver Spieler hatte ich den angemessenen Bezug zu Geld völlig verloren. Wenn ich damals 50 DM in der Hand hatte, dann war dieser Geldschein kein Großeinkauf bei Aldi, keine Einladung zu einem Kinobesuch mit meiner Freundin, kein leckeres Abendessen beim Italiener oder ein neues Buch und eine neue CD. Es waren in meinem Kopf immer nur 10 Fünf-Mark-Stücke für den Automaten.

Vor allem seit 2006, als die Automaten mit den Punktesystemen ausgestattet wurden, verliert man als Spieler den Überblick über die Beträge, die man einsetzt. Wo ich früher 150 DM einsetzte und vielleicht 200 DM gewann, waren jetzt die Hoffnungen auf Gewinne von bis zu 1000€ Anlass zu höheren und exzessiven Investitionen. Doch das größte Problem für den Spieler ist an dieser Stelle, dass er sich gerade bei einem sehr hohen Tagesverlust immer noch einbilden kann, er könne die Verluste noch am selben Tag wieder ausgleichen. Das ist natürlich in 99% der Fälle völlig utopisch.

Für mich war es ein langer Weg, um einen 20-Euro-Schein in meinem Portemonnaie wieder mit schöneren Dingen in Verbindung zu bringen. Meine eigene Wertschätzung und die Veränderungen in meinem Leben gaben mir automatisch die Wünsche zurück, die ich vor meiner Sucht auch verfolgt hatte. Plötzlich kam ich wieder auf die Idee, mir mal leckere, etwas teurere Lebensmittel zu kaufen. Die obligatorischen Notrationen von 4kg Nudeln und 1kg Reis wurden mit der Zeit durch mehr Vielfalt ersetzt. Aber auch heute habe ich ganz hinten im Schrank noch zwei Fertigbackmischungen für Brot, vier oder fünf Tütensuppen und eine Packung Nudeln für den Fall geparkt, dass ich auch aus anderen Gründen als einem Rückfall mal in Bedrängnis komme.

Doch was hat eigentlich dazu beigetragen? Ich bin der Überzeugung, dass sich meine eigene Einstellung zum Geld erst zum Ende meiner anderen Veränderungen (Abstinenz, Therapie, Schuldenregulierung) positiv entwickelt hat. Ich stelle mir da eine Art Pyramide vor, vielleicht so etwas wie die Bedürfnis-Pyramide von A. Maslow. Bei mir besteht dann das Fundament aus meiner Abstinenz. Wenn die nicht gegeben ist, dann ist es auch nicht möglich, die 20€ als etwas anderes zu erkennen als 20 Minuten Spielzeit am Automaten. Darüber kommt dann die Schuldenregulierung und das eigenverantwortliche Handeln bei der Bezahlung von Rechnungen, Miete und anderen Kosten. Besonders meine private Insolvenz und die dadurch entstandene Pflicht, dass ich mir keine Fehltritte mehr erlauben konnte, verhalf mir dazu, mich zu Beginn eines jeden Monats erst um die Verbindlichkeiten zu kümmern und offene Beträge nicht drei Monate vor mir herzuschieben. Wenn ich dann stabil bin und meinen alltäglichen Pflichten wie Arbeit, Ordnung und Sauberkeit nachkomme und der Wunsch nach Beziehungen und anderen sozialen Kontakten wieder gestärkt ist, entwickelt sich auch wieder das Bedürfnis, mir etwas Gutes zu tun, meine Wohnung zu verschönern, auszugehen, für mich zu sorgen, einfach wieder zu leben.

Ich glaube, dass ich ein paar schöne Beispiele aus den letzten Monaten habe. Mein altes Fahrrad war nicht mehr fahrtüchtig und mein Vater bot mir an, es mit einem Ersatzfahrrad aus seinem Schuppen zu tauschen. Aber es fehlten Katzenaugen und eine Klingel. Mein Vater wollte das bezahlen und wenn ich rückfällig gewesen wäre, dann hätte ich das entweder annehmen müssen oder ich hätte es abgelehnt, weil es mir scheiß egal gewesen wäre, ob ich jetzt klingeln kann oder im Dunkeln gesehen werde. Doch jetzt hatte ich ein bisschen Geld übrig und fuhr mit Freude in den nächsten Fahrradladen, um 12 Euro zu investieren. Vielleicht klingt das jetzt für andere Menschen nicht erwähnenswert, aber für mich ist so etwas ein Erfolg.

Während meiner Therapie habe ich mich bei Stadtbesuchen und in der Cafeteria sieben Wochen lang zurückgehalten, damit ich ein Polster für meine Rückkehr in meine Wohnung hatte. Am Tag meiner Entlassung habe ich dann 96€ für Lebensmittel, Putzzeug und Getränke im Supermarkt ausgegeben. Für mich ein absolutes Highlight.

Dann habe ich mir drei Alben gekauft, die vor ungefähr 12 Jahren Opfer meiner Sucht wurden. Das war für mich ein toller Moment, weil ich mir etwas „zurückholte“, was mir mal sehr wichtig war, bevor das Spielen noch wichtiger wurde. Genauso schön ist es, meinem Patenkind ein selbst gebasteltes Taufgeschenk zu überreichen und dabei keine Magenschmerzen zu bekommen, wenn ich dafür 45€ ausgeben muss.

Jemand hat mir gegenüber mal ihre Verwunderung geäußert, dass sie auch in spielfreien Wochen nicht weiß, was sie mit dem Geld anfangen soll. Wenn ich nicht langfristig spielfrei war, dann führte ich zwei Leben. Das maßlose Leben in meiner Sucht mit Kontrollverlust und spielen bis zum letzten Cent war der eine Teil. Der andere Teil war Geiz pur. Jede Packung Schinken wurde vierfach geprüft, bevor ich sie kaufte und an Ausgaben für Freizeit und Wohlbefinden war nicht zu denken. Es könnte ja sein, dass ich nächste Woche doch noch Geld benötigte, um spielen zu gehen. Dieser Geiz ist vielleicht auch nur Teil einer langfristigen Selbstverarschung wie in diesem Beitrag. Wenn man sich als Spieler selbst auf diese Gedanken prüft, dann gibt es vielleicht schon ein Argument dafür, warum man keinen Blick für tolle Neuanschaffungen und kleine Freuden hat.

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