Neuer Reichtum

Na, kommt. Wer von euch hat nun für eine Sekunde gedacht „Oh, mein Gott! Rückfall!“? Wobei… Spielen und dann Reichtümer anhäufen? Die Chance, dass das passiert, ist genauso groß wie die Wahrscheinlichkeit, dass das Hubble-Teleskop im Zentrum eines Schwarzen Lochs ein kleines Männchen entdeckt, dass mit einer Taschenlampe nach einer durchgebrannten Sicherung sucht (S. Cooper).

Bei mir klappt das nicht. Und bei Christoph, dem Protagonisten des Buches „Alles Verlorene noch einmal in den Händen halten“, will dies auch nicht so recht gelingen. In den vergangenen zwei Wochen habe ich es gelesen und insbesondere meine Erfahrungen, die ich während dieser zwei Wochen gesammelt habe, sind mein neuer Reichtum. Doch zunächst möchte ich auf das Buch selbst eingehen.

Auf der Rückseite des Buches stehen diese zwei schönen Sätze: „Die geringe Chance, Geld zu gewinnen, ist irgendwann mehr wert als das Geld selbst. Diese Chance wird umso wertvoller, je mehr man schon verloren hat.“

Der Autor Leonard Prandini beschreibt aus meiner Sicht sehr detailliert und authentisch, wie es sich mit der Spielsucht lebt und wie es mit dem Alltag und der Gedankenwelt eines Spielers verhält. Wie so oft, wenn ich Bücher zum Thema pathologisches Glücksspiel lese, fällt auch hier auf, wie schwer es ist, zwischen dem Anspruch, authentisch über das Spielen zu schreiben und Außenstehenden das Glücksspiel tatsächlich näher zu bringen, eine Brücke zu schlagen. Aber Prandini gelingt dies besser als anderen. Auch ich bin übrigens mal kläglich daran gescheitert.

Angehörige, Freunde, Kollegen und Partner von Spielerinnen und Spielern sind eben nicht spielsüchtig und können daher auch nur schwerlich nachvollziehen, wie es einem Spieler so geht und was in ihm in seinem Spieleralltag vorgeht.

Grundsätzlich ist dieses Buch, insbesondere aber die ersten beiden Kapitel, geeignet für Interessierte, Angehörige und MultiplikatorInnen, die im Bereich Glücksspielsucht arbeiten.

Ich persönlich machte mit diesem Buch aber auch eine besondere Erfahrung. Mich haben Teile dieses Buches stark getriggert. Als Trigger (engl. für Auslöser) bezeichnet man in der Medizin einen Auslöser für einen Körpervorgang, eine Erkrankung, einen Steuerungsvorgang oder einen Schmerz. In Bezug auf mich bedeutete das Lesen gewisser Zeilen, dass ich einige Zeit später Lust bekam spielen zu gehen. Das lag vor allem an der sehr realitätsnahen Beschreibung der Gedanken des Spielers, seiner Vorfreude auf das Spielen und dem Spielen selbst. Ich fühlte mich sehr oft an meine alte Spielerzeit erinnert.

Letztendlich war die Gefahr, dass ich tatsächlich spielen gehen würde, verschwindend gering. Als ich diese Lust, auch mal wieder spielen zu gehen, feststellte, war ich sehr erstaunt, weil ich innerlich angenommen hatte, mir könnten solche Zeilen nichts mehr anhaben. Doch sie konnten und diese Erfahrung ist sehr wertvoll für mich, denn durch dieses Erlebnis habe ich meine Sinne wieder geschärft und bin wieder etwas mehr auf der Hut als in den vergangenen zwei Jahren.

Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen möchte ich deshalb anderen Betroffenen davon abraten, dieses Buch zu lesen. Ich weiß, wie gefährlich auch das Heißreden für SpielerInnen sein kann, die eine Abstinenzentscheidung getroffen haben. Mit einigen Teilen dieses Buches verhält es sich ähnlich.

Leider ist bei diesem Buch das Schriftbild ein wenig anstrengend. Ich hatte zwischendurch Probleme, die Konzentration hoch zu halten und weiterzulesen.

Euer Spielverderber 

If I can make it there…

Liebe Mitmenschen,

für einige unter euch wird dieser Beitrag ein wenig kryptisch sein. Um euch über die aktuelle Situation nicht völlig im Dunkeln zu lassen, möchte ich an dieser Stelle nur schreiben, dass es in den letzten Wochen zu einschneidenden Ereignissen gekommen ist, auf die ich keinerlei Einfluss habe. Dabei arbeite ich doch so liebend gern lösungsorientiert.

 Mein letzter Beitrag liegt fast einen Monat zurück und mir brennt es unter den Schreiber-Nägeln. Leider fühle ich mich zurzeit außer Stande, mich konstruktiv einem Glücksspielthema zu widmen. Zuvor muss ich mich meiner eigenen Situation stellen und mir ein paar Zeilen von der Seele schreiben.

In einer der ersten Wochen hier in Hamburg stand ich eines Abends an einem Kiosk in Farmsen. Während ich mir eine Cola kaufte, stand auf einmal ein Junge aus dem Flüchtlingsheim in Farmsen neben mir und zählte ein paar Cents, die er in seiner Hand hatte. Ich dachte sofort, dass er sich damit wahrscheinlich gar nichts kaufen kann und drückte ihm spontan zwei Euro in die Hand. Mit glänzenden Augen schaute er mich an und sagte nur: „Danke.“, und stieg auf sein Fahrrad. Dann drehte er sich nochmal um und wiederholte: „Danke. Danke.“

Ich war mir sehr sicher, dass dies eines der wenigen Wörter war, die er auf Deutsch sagen konnte. Im Laufe der nächsten drei Monate lief er mir immer mal wieder über den Weg, so wie viele andere Flüchtlinge. Einige schauen auf den Boden, wenn sie an mir vorübergehen, andere suchen den Blickkontakt und lächeln auch mal, wieder andere grüßen manchmal ganz leise und vorsichtig.

Letzte Woche kam mir dieser Junge mit zwei anderen Jungs entgegen und ich hörte, wie einer seiner Freunde fragte: „Was haben wir morgen?“, und der Junge antwortete: „Keine Ahnung.“ Es war wie ein ganz normales Gespräch zwischen Jungs und ich freute mich sehr, dass er in dieser kurzen Zeit so viel dazu gelernt hat. Ein schönes Erlebnis.

Doch viele andere Dinge, die ich in den vergangenen Wochen erlebt habe, sind nicht so positiv. Ich spüre bei vielen Menschen, selbst mir völlig unbekannten, immer stärkere Formen von Egozentrik. Was genau ist Egozentrik? Sie ist die Eigenschaft des menschlichen Charakters, sich selbst fortwährend im Mittelpunkt zu sehen. Meistens geht damit die Unfähigkeit einher, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und die eigene Sichtweise als eine unter mehreren wahrzunehmen.

In der U-Bahn saß am Donnerstag ein Jugendlicher mit seinem Longboard. Er blockierte zwei Sitzplätze und sein Longboard ragte mit dem einen Ende in den Gang. Immer wieder mussten Zusteigende darüber klettern und er schien davon nicht einmal Kenntnis zu nehmen. Mehrere Fahrgäste starrten zu ihm herüber oder schüttelten mit dem Kopf. Wie es der Zufall wollte, stieg er irgendwann aus und vergaß seine Wintermütze auf seinem Platz. Einer der Fahrgäste lief ihm hinterher, doch der Jugendliche konnte seinen Ruf nicht hören, natürlich wegen der allgegenwärtigen Stöpsel im Ohr. Als die Übergabe dann endlich stattfand, hörte ich nur ein müdes: „Ja.“, anstatt eines Dankeschöns oder einem Lächeln.

Diese Situation ist für mich ein Symbol der letzten Wochen. Ich habe das Gefühl, als würde mir in meiner Umwelt immer mehr Egoismus entgegenschlagen. Die Masse an negativer Energie, die ich dabei tagtäglich erlebe und somit auch verarbeiten muss, lässt mich zurzeit an meine Grenzen stoßen. Weshalb fällt es einigen Menschen so schwer, ein Minimum an Verständnis für ihre Mitmenschen aufzubringen? Wieso gelingt es ihnen nicht, sich einfach mal auf die andere Seite zu stellen und ein bisschen Empathie für sein/ihr Gegenüber zu empfinden?

Immer wieder muss ich meine Ressourcen und Energie dazu nutzen, um in den unterschiedlichsten Bereichen den Alltag am Laufen zu halten. Sei es nun auf der Arbeit, bei Kontakt mit den Behörden oder in Teilen meines Bekanntenkreises. Diese Energie ist aufgebraucht. Andauernd „soll“ ich Verständnis für das suboptimale – nein, das klingt zu vorsichtig – aufreibende, unangemessene und unangepasste Verhalten anderer aufbringen. Wieso eigentlich? Um zu deeskalieren? Um es mir mit diesen „Anderen“ nicht zu „verscherzen“?

Ich glaube, es würde unheimlich helfen, wenn Menschen einfach damit beginnen würden, die Ansprüche an Verhalten, Leistung und Verständnis, die sie an andere haben, auch an sich selbst zu stellen.

In einigen Situationen der letzten Monate habe ich immer wieder abgewogen, ob ich meine Meinung äußern soll oder nicht. Und immer wieder habe ich mich entschieden, mich um des Friedens willen nicht zu positionieren. Doch dieser Frieden hat sich nicht eingestellt und wie mein Therapeut so treffend erkannte: „Sich nicht zu positionieren ist leider auch eine Position.“ Ja, und die trägt auch nicht dazu bei, dass ich mich mal eine Woche lang entspannen und meinen „stinknormalen“ Alltag tatsächlich stinknormal sein lassen kann.

Ich bin müde, kraftlos, frustriert und vor allem hilflos.  Ich habe momentan keinerlei Rückzugsorte. Das einzig Positive an der aktuellen Lebenssituation und den einschneidenden Ereignissen ist, dass ich spielfrei und frei vom Verlangen nach Zocken bin. In einer Ausnahmesituation wie dieser hätte ich vor gar nicht allzu langer Zeit todsicher gespielt. Ich hätte „mich weggemacht“, wäre geflüchtet und hätte niemanden sehen oder sprechen wollen. Dass es nicht so ist, erscheint mir in den letzten Tagen so unglaubwürdig, dass ich mir fast selbst nicht mehr traue. „Wo bleibt der Spieldruck?“, frage ich mich dann und kann mein Glück kaum fassen. Naja, mit Glück hat es ja eigentlich nichts zu tun, denn das scheinen ja die Früchte meines Entwicklungsprozesses der letzten 16 Jahre zu sein. Und Glück hat ja für einen pathologischen Glücksspieler nochmal eine verschärftere Bedeutung, nicht wahr? 😉

SPIELEN – Bitte nicht nur Erwachsene

Während meiner kleinen Auszeit wies mich jemand auf einen Artikel bei Spiegel Online hin, in dem es um Online-Glücksspiele ging. Diesem Artikel möchte ich mich nun widmen. Es ist ein aktuelles Thema, da das Online-Glücksspiel in Deutschland bis heute noch nicht ausreichend geregelt ist.

Vorrangig geht es um das Glücksspiel bei Jugendlichen und ihr Spielverhalten im Internet. Leider sind die Alterskontrollen im Internet viel zu lasch. Minderjährige können leicht Konten anlegen, mit denen sie online spielen können. Oftmals ist es nur notwendig, einen Haken bei „Ich bin volljährig“ zu machen, um einen Account anzulegen. Auf einigen Seiten hat man dann zwar nur die Möglichkeit, um virtuelle Punkte zu spielen, aber trotzdem fängt an diesem Punkt ja eventuell schon die Spielproblematik an. Der Anbieter ermöglicht mir, das Glücksspiel auf einer „ungefährlichen“ Ebene zu testen. Ich erläutere das mal am Beispiel von Pokerstars, einer Seite, auf der ich auch schon gespielt habe.

In den FAQ heißt es bei Pokerstars: „Sie müssen mindestens 18 Jahre alt sein oder das gesetzliche Mindestalter ihres Landes für Online-Spiele erreicht haben.“ Da geht es schon los. Pokerstars wälzt die Verantwortung auf den Spieler ab, der ein Konto erstellt. Ich muss mich selbst informieren, wie das in meinem Land geregelt ist. In den Tiefen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen muss man dann zusätzlich tief graben, wenn man herausfinden möchte, welche Konsequenzen es für mich hat, sollte ich als Minderjähriger an Echtgeldspielen teilnehmen oder mehrere Accounts gleichzeitig besitzen.

Wenn ich dann versuche, ein Konto zu erstellen, dann wird nicht nach einem offiziellen Altersnachweis gefragt. Ich stimme den Geschäftsbedingungen zu und kann mit dem Spielen beginnen. Zu diesem Zeitpunkt kann ich nicht nur alle Varianten des Pokerspiels mit virtuellem Geld auszuprobieren, sondern auch mit einer PaySafe-Karte reales Geld einzahlen und direkt um echte Einsätze spielen. Während meiner aktiven Zeit bei Pokerstars saß ich mehr als einmal mit sehr jungen Spielern an Echtgeldtischen. Durch die Chatfunktion bekam ich das des Öfteren mit.

Doch selbst, wenn ich mich nicht traue, um echtes Geld zu spielen, gibt es schon große Gefahren. Nehmen wir mal an, dass ich als 15-Jähriger die Sportler Ronaldo und Rafael Nadal in der Pokerstars-Werbung sehe und mal schauen will, was das ist, „dieses Pokern“. Dann kann ich ohne Probleme innerhalb von 10 Minuten um Spielgeld spielen. Allein das hat ja schon Einfluss auf mich. Ich werde eventuell angefixt und sehe in der Turnierlobby (Übersicht über alle Echtgeld- und Spielgeld-Optionen) die immensen Beträge, um die ich dort spielen und die ich dort gewinnen kann.

Bei meinen Recherchen bin ich sogar auf eine Seite gestoßen, die eine Liste von Wett- und Spielanbietern bereitstellt, bei denen der erste Altersnachweis erst bei der ersten Auszahlung erforderlich ist. Man braucht demnach nicht mal seinen Erfindungsgeist bemühen, um als Minderjähriger um echtes Geld zu spielen. Vorbei sind die Zeiten, in denen man Papas Ausweis kopieren oder seine Kreditkartennummer angeben musste, um spielen zu können. Mit der PaySafe-Karte ist alles möglich. Noch ein Punkt, der letztendlich Anbietern wie Pokerstars in die Karten spielt. Pokerstars kann einfach die Auszahlung verweigern, wenn sie feststellen, dass der Spieler minderjährig ist. Das alles führt natürlich auch zu Situationen wie die Anfang 2011. Ein niederländischer Pokerspieler, der sich bei der Anmeldung zwei Jahre älter gemacht hatte, belegte bei der Sunday Million den sechsten Platz von 59000 Spielern und wurde dann nachträglich disqualifiziert. Seine 518.000$ Preisgeld waren futsch.

Pokerstars sollte dringend seine Anmelde-Verfahren  verändern, ebenso wie Tausende andere Spielanbieter. Der Altersnachweis sollte direkt bei der Kontoerstellung erbracht werden müssen.

Wie aus dem Artikel bei Spiegel Online hervorgeht, waren laut einer Studie der BzgA im Jahr 2013 70% aller Online-Spieler zwischen 18 und 20 Jahre alt. Das lässt tief blicken und erahnen, wie hoch die Dunkelziffer an minderjährigen Spielern ist. In der Anonymität des Internets gehen solche Informationen verloren und sind nicht mehr nachzuvollziehen. Bei den männlichen Jugendlichen im Alter von 16 und 17 Jahren geben 50% an, bereits mindestens einmal an einem Glücksspiel teilgenommen zu haben.

Die Aussagen, die sich in dem Artikel finden lassen, weisen klare Parallelen zu meinen Erfahrungen auf. Ich hatte ebenso die Hoffnung (teilweise auch die Überzeugung), ohne große Anstrengung das große Geld machen zu können.

Was Anbieter wie Pokerstars als „verantwortungsbewusstes Spielen“ verkaufen, handelt immer nur von den Möglichkeiten, wenn sich die Problematik bereits entwickelt hat. Ich allerdings halte präventive Maßnahmen für sehr viel wichtiger. Doch so etwas liegt wohl nicht in der Verantwortung der Anbieter. Hier ist Aufklärung in den Schulen, in den Familien und Vereinen erforderlich. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, Minderjährige zu schützen und sie auf die Gefahren aufmerksam zu machen. Erfahrungsberichte anderer Spieler, Schutzmaßnahmen an allen Multimediageräten im Haushalt, Sperren von Internetseiten, Installation von Sperrsoftware, Gespräche über die Gefahren von Alkohol, Drogen und Glücksspiel. Auf der Seite www.spielfieber.net findet ihr ein Spiel zur Prävention von Glücksspielsucht.

Letztendlich ist es glaube ich wichtig, dass der Gesetzgeber die Konditionen für das Online-Glücksspiel prüft und die Rahmenbedingungen klarer definiert. Die meisten Spieler wissen gar nicht, dass es in Deutschland (bis auf das Land Schleswig-Holstein) verboten ist, an derartigen Glücksspielen im Internet teilzunehmen. Es sollten allmählich Verordnungen oder Gesetze erlassen werden, die auch die Anbieter von Glücksspielen in die Pflicht nimmt.