If I can make it there…

Liebe Mitmenschen,

für einige unter euch wird dieser Beitrag ein wenig kryptisch sein. Um euch über die aktuelle Situation nicht völlig im Dunkeln zu lassen, möchte ich an dieser Stelle nur schreiben, dass es in den letzten Wochen zu einschneidenden Ereignissen gekommen ist, auf die ich keinerlei Einfluss habe. Dabei arbeite ich doch so liebend gern lösungsorientiert.

 Mein letzter Beitrag liegt fast einen Monat zurück und mir brennt es unter den Schreiber-Nägeln. Leider fühle ich mich zurzeit außer Stande, mich konstruktiv einem Glücksspielthema zu widmen. Zuvor muss ich mich meiner eigenen Situation stellen und mir ein paar Zeilen von der Seele schreiben.

In einer der ersten Wochen hier in Hamburg stand ich eines Abends an einem Kiosk in Farmsen. Während ich mir eine Cola kaufte, stand auf einmal ein Junge aus dem Flüchtlingsheim in Farmsen neben mir und zählte ein paar Cents, die er in seiner Hand hatte. Ich dachte sofort, dass er sich damit wahrscheinlich gar nichts kaufen kann und drückte ihm spontan zwei Euro in die Hand. Mit glänzenden Augen schaute er mich an und sagte nur: „Danke.“, und stieg auf sein Fahrrad. Dann drehte er sich nochmal um und wiederholte: „Danke. Danke.“

Ich war mir sehr sicher, dass dies eines der wenigen Wörter war, die er auf Deutsch sagen konnte. Im Laufe der nächsten drei Monate lief er mir immer mal wieder über den Weg, so wie viele andere Flüchtlinge. Einige schauen auf den Boden, wenn sie an mir vorübergehen, andere suchen den Blickkontakt und lächeln auch mal, wieder andere grüßen manchmal ganz leise und vorsichtig.

Letzte Woche kam mir dieser Junge mit zwei anderen Jungs entgegen und ich hörte, wie einer seiner Freunde fragte: „Was haben wir morgen?“, und der Junge antwortete: „Keine Ahnung.“ Es war wie ein ganz normales Gespräch zwischen Jungs und ich freute mich sehr, dass er in dieser kurzen Zeit so viel dazu gelernt hat. Ein schönes Erlebnis.

Doch viele andere Dinge, die ich in den vergangenen Wochen erlebt habe, sind nicht so positiv. Ich spüre bei vielen Menschen, selbst mir völlig unbekannten, immer stärkere Formen von Egozentrik. Was genau ist Egozentrik? Sie ist die Eigenschaft des menschlichen Charakters, sich selbst fortwährend im Mittelpunkt zu sehen. Meistens geht damit die Unfähigkeit einher, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und die eigene Sichtweise als eine unter mehreren wahrzunehmen.

In der U-Bahn saß am Donnerstag ein Jugendlicher mit seinem Longboard. Er blockierte zwei Sitzplätze und sein Longboard ragte mit dem einen Ende in den Gang. Immer wieder mussten Zusteigende darüber klettern und er schien davon nicht einmal Kenntnis zu nehmen. Mehrere Fahrgäste starrten zu ihm herüber oder schüttelten mit dem Kopf. Wie es der Zufall wollte, stieg er irgendwann aus und vergaß seine Wintermütze auf seinem Platz. Einer der Fahrgäste lief ihm hinterher, doch der Jugendliche konnte seinen Ruf nicht hören, natürlich wegen der allgegenwärtigen Stöpsel im Ohr. Als die Übergabe dann endlich stattfand, hörte ich nur ein müdes: „Ja.“, anstatt eines Dankeschöns oder einem Lächeln.

Diese Situation ist für mich ein Symbol der letzten Wochen. Ich habe das Gefühl, als würde mir in meiner Umwelt immer mehr Egoismus entgegenschlagen. Die Masse an negativer Energie, die ich dabei tagtäglich erlebe und somit auch verarbeiten muss, lässt mich zurzeit an meine Grenzen stoßen. Weshalb fällt es einigen Menschen so schwer, ein Minimum an Verständnis für ihre Mitmenschen aufzubringen? Wieso gelingt es ihnen nicht, sich einfach mal auf die andere Seite zu stellen und ein bisschen Empathie für sein/ihr Gegenüber zu empfinden?

Immer wieder muss ich meine Ressourcen und Energie dazu nutzen, um in den unterschiedlichsten Bereichen den Alltag am Laufen zu halten. Sei es nun auf der Arbeit, bei Kontakt mit den Behörden oder in Teilen meines Bekanntenkreises. Diese Energie ist aufgebraucht. Andauernd „soll“ ich Verständnis für das suboptimale – nein, das klingt zu vorsichtig – aufreibende, unangemessene und unangepasste Verhalten anderer aufbringen. Wieso eigentlich? Um zu deeskalieren? Um es mir mit diesen „Anderen“ nicht zu „verscherzen“?

Ich glaube, es würde unheimlich helfen, wenn Menschen einfach damit beginnen würden, die Ansprüche an Verhalten, Leistung und Verständnis, die sie an andere haben, auch an sich selbst zu stellen.

In einigen Situationen der letzten Monate habe ich immer wieder abgewogen, ob ich meine Meinung äußern soll oder nicht. Und immer wieder habe ich mich entschieden, mich um des Friedens willen nicht zu positionieren. Doch dieser Frieden hat sich nicht eingestellt und wie mein Therapeut so treffend erkannte: „Sich nicht zu positionieren ist leider auch eine Position.“ Ja, und die trägt auch nicht dazu bei, dass ich mich mal eine Woche lang entspannen und meinen „stinknormalen“ Alltag tatsächlich stinknormal sein lassen kann.

Ich bin müde, kraftlos, frustriert und vor allem hilflos.  Ich habe momentan keinerlei Rückzugsorte. Das einzig Positive an der aktuellen Lebenssituation und den einschneidenden Ereignissen ist, dass ich spielfrei und frei vom Verlangen nach Zocken bin. In einer Ausnahmesituation wie dieser hätte ich vor gar nicht allzu langer Zeit todsicher gespielt. Ich hätte „mich weggemacht“, wäre geflüchtet und hätte niemanden sehen oder sprechen wollen. Dass es nicht so ist, erscheint mir in den letzten Tagen so unglaubwürdig, dass ich mir fast selbst nicht mehr traue. „Wo bleibt der Spieldruck?“, frage ich mich dann und kann mein Glück kaum fassen. Naja, mit Glück hat es ja eigentlich nichts zu tun, denn das scheinen ja die Früchte meines Entwicklungsprozesses der letzten 16 Jahre zu sein. Und Glück hat ja für einen pathologischen Glücksspieler nochmal eine verschärftere Bedeutung, nicht wahr? 😉

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